"Eine Analyse der ersten Lauftritte der Maus" von Gert K. Müntefering
Ein kluger Mann fragte einmal, und er gab dann selbst die Antwort: "Was ist schlimmer als ein Mißerfolg, sagen wir mal im Fernsehen? Ein Erfolg ist schlimmer." Warum ist das so? Es muss an den Menschen liegen. Beim Mißerfolg geht man verdrossen auseinander. Irgendwie waren alle schuld, man selbst natürlich am wenigsten. Ja - und beim Erfolg, da haben sicher alle beigetragen. Man selbst natürlich am meisten! "Die Sendung mit der Maus" gibt eine Folie für diese nun seit Jahren anhaltende Debatte dazu ab. Dabei geht es skurriler Weise nicht darum, wer die Idee für diese Sendung hatte, wer den Titel erfand oder warum, das könnte ja mal gefragt werden, ein mit keinem pädagogischem Begleitgremium unterlegtes redaktionelles Eigengewächs robuster und attraktiver war als mit grosser Expertise ausgerüstete Welterklärungen für Kleinkinder. Aber lassen wir das. Die Maus höchstpersönlich war und ist, auch nach geklärter juristischer Position, immer noch Gegenstand höchst fragwürdiger Alleinansprüche. Genauer: die orangefarbene Fernsehmaus, gelegentlich mit Vorderansicht. Deshalb ist der nachstehende Werkstattbericht auch einige Jahrzehnte nach den Ereignissen selbst notwendig... © Gert K. Müntefering / Dezember 2014
Es kann sein, dass die Entstehung der Welt vor 14,5 Milliarden Jahren plus-minus zehn Minuten besser dokumentiert ist als die Genesis der „Sendung mit der Maus.“ Auch ohne Spektralanalyse und Bibeltext ist klar, warum es diese Maus gibt und wie sie entstand. Dabei steht das Copyright der Person Maus für eine wichtige Etappe. Projekt und Figur reichen aber deutlich über die urheberrechtliche Dimension hinaus, künstlerisch und medial. Die ganze Maus, wie wir sie kennen, wäre ohne jene Erweiterung in Habitus und Auftritt in Raum und Zeit nicht wirksam. Deshalb muss der Anspruch auf die alleinige Erfindung Maus gleichzeitig abgelöst von der ersten Vorlage und doch auch ihr verpflichtet gewertet werden. Am Anfang war der Bildschirm schwarz und weiß. Mit Farbe begann um 10.57 Uhr am 25. August 1967 eine neue Zeit auch für das Kinderfernsehen. Aus den Preview-Stuben in Amerika kam Kunde von der klugen „Sesamstrasse.“ Märchenquiz und Bastelstunde hatten ihre Haltbarkeitsdauer deutlich überschritten. „Hör Zu“ und Evangelische Akademie Tutzing waren sich ein: „Lachen ist amerikanisch, belehren deutsch.“ Der Hase Cäsar legte die Ohren an und verstummte. Der WDR-Gegenplan lag quer dazu. „Lach-und Sachgeschichten“ für Kinder. Dieser Einfall der Redaktion begründete die Maus und trägt bis heute. Eine TV-Welt jenseits von Schulfilmen und HB-Mann. Fest versprochen: keine Unterhaltung! Nur aus Versehen. Dann war da noch die Altersgrenze. Kinder unter Sechs durften weder bespaßt noch überhaupt im TV jener Jahre angeredet werden. Der BR schickte sie sogar fort vom Fernsehen, sobald sein „Feuerrotes Spielmobil“ im Leerlauf tuckerte. Der Etat (war das überhaupt ein Name für das Kindergeld im Programm) wurde gnadenlos überzogen. Armin Maiwald drehte im Auftrag erste Sachgeschichten, dezent darauf bedacht, nicht selbst im Bild zu erscheinen. Das trieb ihm die Redaktion aus; alle hatten den Gewinn davon. Seine Filme wurden konstitutiv für die Sendung. Ohne sie, die Geschichten, und ohne ihn, Armin, wäre die Maus nur lachhaft. Ihm folgten später viele neue Charaktere, authentisch auf zeitgenössische Weise. Lachgeschichten waren kurz gefasste graphische Bilderwerke. Isolde Schmitt-Menzel bekam den Auftrag, das Spaßstück „Die Maus im Laden“ von Ursula Wölfel zu illustrieren. Sie tat das mit sympathischen, groben Strichen. Die kombinierten Lach-und Sachgeschichten, freundlich aufgenommen, ließ die Redaktion begeistert und ratlos zurück. Quoten prima, Direktor zufrieden, Kollegen in Nord und Süd leicht sauer, also alles gut. Oder doch nicht? Es fehlte etwas. Und das war – ja, was denn nur? Siegfried Mohrhof, Monika Paetow und der hier als Biograph der ersten Epoche berichtende Autor mussten den Job erledigen. Sie taten das in verwinkelten Räumen über der legendären Galerie „Der Spiegel“ an der Richartzstrasse zu Köln. Soweit der redaktionelle Gründungsstab. Zu dem Zeitpunkt gab es schon ausgefeilte Sachgeschichten, dazu Lachsachen, aber keine für diese Sendung erfundene Maus. Eine mögliche Vorlage wurde kurz darauf im redaktionellen Bestand entdeckt. Die „Maus im Laden“ lag also arglos auf grobem Zeichenpapier in der Requisite. Die Redaktion bat Frau Isolde um ein graphisches Exzerpt der Maus, mit gewissen Vorgaben für einfache Spots. Kleine Comics, Vorstufen zu Storyboards, die, wenn sie diesen Namen verdienen, professionellen Standards zu genügen haben. Die gelieferten Strips trafen schon mal redaktionelle Absichten. Nur, bewegt hatte sich die Maus noch keinen Millimeter. Der Graphiker und Trickfilmer Friedrich Streich besah das Tier, redete viel mit der Redaktion und noch mehr mit Frau Schmitt-Menzel und gab die Maus in den Laufstall. Wie bei der Erziehung von Kleinkindern üblich, hatte jeder seine Meinung. Aber Streich sagte: „Ist ja alles gut und schön. Nur für Trickspots braucht es halt eine Vorderansicht. Ich sehe dazu keine Vorlage.“ Eine Stilfibel existierte nicht. Das Trickbild der Maus musste sich doch, so der Irrglaube, aus Vorlagen ergeben. Bildergeschichte, nur bewegt irgendwie. Streich ließ Augen klappern, Kokosschalen für Stakkato der Schritte. Ergab ihr eben auch die nun mal nötige Vorderansicht, Klebe-Ikone bis heute. Die Mausmorphologie schwankte. Ihre Schnauze, erst lang, wurde kürzer. Der Schwanz flexibel, Barthaare ebenfalls, das Fell fand sein Orange. Dazu dann die Mausmelodie von Hans Posegga. In diese Animation floss eben auch ein Stück von Friedrich Streich, materiell und geistig. Das war keine Serviceleistung, vielmehr Galanterie für eine oft allzu robuste Vorlage. Die Wertung „er hat nur animiert“ ist eine grobe Fehleinschätzung und naive Werkkunde. Streich gab der Maus einen deutlichen Mehrwert. Der Laie verwechselt zudem gerne Animation mit Animateur. Daran erkennt man dann den Amateur. Lach- und Sachgeschichten legten sich also nicht wie eine Perlenkette um den kostbaren Entwurf einer Maus. Dieser war ein Wert- aber eben auch ein Werkstück. Der Begriff Erfindung der Maus unterlegt fälschlich schon an dieser Stelle eine weiterführende, geplante und gleichwohl selbständige Schöpfung. Er kokettiert mit dem Endprodukt, für dessen Entstehung ein anderes Wort steht: Team. Aber die öffentliche Wahrnehmung hat gern Helden. Ich denke, sie ernennt einfach jeden, der damals dabei war und über die frühe Maus berichtet, zum Erfinder. Der und die freut sich dann, denn es gibt schlechtere Beziehungen. Es sei denn, er oder sie wäre Künstler. Da hört der Spaß auf – wie beim Geld. Sechs „Sendungen mit der Maus“ - gegen Pole- Position 300-mal „Sesamstrasse“. 300 000 Mark gegen sechs Millionen Etat und unbegrenzt Studio- und Manpower. Dazu ein pädagogisch bejubeltes Marketing, das Ernie, Bert und Krümelmonster als Könige der Kinderläden etablierten, während die Maus tapfer im Nirgendwo heimlich Aufkleber in Supermärkte hinterließ. Aber es gab auch schon Raubkopien von Mauspuppen, die der WDR wie Unkraut bekämpfte. Das brachte wenig, da immer neue Container aus Hongkong angelandet wurden. Es waren die Vorboten einer neuen Welt auch für das Öffentlich-rechtliche Fernsehen. Der Wert der Maus und ihrer Sendezeit lag auch in den nun möglichen großen Koproduktionen, von Janosch bis zum Käpt’n Blaubär, vom Maulwurf bis zum emanzipierten Schaf. Die Cross-Over-Unterhaltung für Kinder und Familie hatte ihren idealen Platz am Sonntag um 11.30 Uhr.Werkstattbericht von Gert K. Müntefering
Ein Moderator fehlte, aber bitte kein Mensch, nicht einmal eine Frau. Also Hase, Maulwurf, Papagei, keine Maus. Halt stop, die Maus Namenlos, also her mit dem Gattungsbegriff für die „Sendung mit der Maus.
© Gert K. Müntefering / Reaktion auf FAZ-Leserbrief “Maus-Erfinderin“ 22.10.2014 (23.Okt.-15.Dez. 2014)
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